Das Spielwerk von Pianos und Flügeln
Was Klavierspieler über ihr Instrument wissen sollten
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Vorwort
Spezialisten sagen schlicht »Maschine«, wenn sie vom Spielwerk des Klaviers reden, manche nennen es »Getriebe«, die meisten sprechen von der »Mechanik«. Ob Orgel, Cembalo, Klavichord oder eben das Klavier: sie alle sind mechanische Musikinstrumente, deren Tonerzeugung nicht direkt über Hand oder Mund erfolgt, sondern über ein mehr oder weniger kompliziertes Hebelwerk. Das Besondere der Klaviermechanik gegenüber anderen Tasteninstrumenten besteht darin, daß sie die Feinheiten der Dynamik, derer unsere Hand fähig ist, auf den Ton zu übertragen vermag, eine Eigenschaft, die man zum Ausdruck brachte, indem man das Klavier einfach das »Leislaut« nannte: Pianoforte.
Wie präzise, wie nuanciert und wie zuverlässig ein Klavier dynamisch reagiert, das ist zu einem wesentlichen Teil vom Zustand und der Qualität des Spielwerks abhängig. Und da seine einwandfreie Funktion die Mittlerin ist zwischen musikalischer Vorstellung und klanglicher Realisierung, dürfte es sich auch für den Spieler lohnen, darüber einiges zu wissen. Denn:
»... je besser ein Pianist die drei Komponenten Musik, sich selbst (den Interpreten) und das Klavier kennt, desto sicherer wird er ein Meister und kein Dilettant. Und je besser er sein Wissen in Formeln fassen kann, welche die Kraft eines Gesetzes haben - selbst wenn sie entfernt an mathematische Formeln erinnern - desto gefestigter, tiefer und fruchtbringender wird sein Wissen sein. Wer damit nicht sofort einverstanden ist, dem ist nicht zu helfen.«
Dies ist das Wort eines berühmten Pianisten und Klavierpädagogen, Lehrer immerhin von Swjatoslav Richter und Emil Gilels, ein Fachmann des Klavierspiels also, der weiß, wovon er spricht:
»Die Tasten bewegen sich außerordentlich leicht; es genügt ein wenig mehr als das Gewicht einer Streichholzschachtel, um eine Saite zum Schwingen zu bringen ...« (Heinrich Neuhaus, »Die Kunst des Klavierspiels«)
Nun ist allerdings ein wenig mehr als das Gewicht einer Streichholzschachtel keine sehr genaue Formel. Aber wer hätte gedacht, daß der wahre Wert bei etwa 15 Streichholzschachteln liegt? Daß Neuhaus sich um eine Zehnerpotenz geirrt hat, ist nicht zufällig: Klavierspieler sind nicht nur selten in der Lage, ihr Wissen über ihr Instrument in genaue Formeln zu fassen, sondern in der Regel ist ihr Wissen recht mangelhaft. Ihr Instrument ist ihnen ein verschlossener schwarzer Kasten, dem man vorn auf die Tasten drückt, damit hinten Musik herauskommt.
Nun mag man sich darüber streiten, ob detaillierte Kenntnisse nötig sind, um besser Klavier zu spielen. Vielleicht lenken sie sogar zu sehr vom Eigentlichen ab. Unkenntnis birgt aber doch einige Nachteile, denn man ist erstens dem Techniker, auch dem minder fähigen, ausgeliefert, und zweitens besteht die Gefahr, daß nur halb Verstandenes zur Grundlage spieltechnischer Erörterungen gemacht wird.
Die Äußerungen des Spielers gegenüber seinem Techniker beschränken sich ja meist auf ein unpräzises Raunen. Dabei sollte man gerade ihm, der sich intensiv mit dem Klavierspiel auseinandersetzt, am ehesten zutrauen, sich in die technischen Forderungen an ein Instrument hineinzudenken.
»Es gibt heute unvergleichlich mehr passable Pianisten als Klaviertechniker. [...] Könnte man nur einigen Klavierspielern begreiflich machen, daß sie als Klaviermechaniker für die Musik von größerem Nutzen wären!«
Dieser Stoßseufzer Alfred Brendels (»Nachdenken über Musik«) sieht auf den ersten Blick wie das abschätzige Urteil eines Pianisten über einige seiner Kollegen aus, meint aber wohl etwas anderes: daß es den Pianisten an technischen und den Technikern an pianistischen Kenntnissen fehlt.
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